"Entdecken Sie die neueste Rezension: Sophie Passmanns 'Pick Me Girls' unter der Lupe!

Wie divers kann mainstream Feminismus? - Book-Review Teil 1

Sophie Passmanns 'Pick Me Girls' unter der Lupe!

by Linder Brie

Hallo liebe divana-Community, 

Hier ist Linder, ein kleiner Teil (1,60cm) des divana-Teams und ich möchte zukünftig ein paar Gedanken zu einigen feministischen Werken mit euch Teilen. Das soll die Diskussion über feministische Themen öffnen und im besten Fall einige dazu inspirieren sich ein paar Bücher der feministischen Theorie zu schnappen und selbst zu reflektieren.

Vielleicht lest ihr ja gerade auch etwas spannendes und habt Lust eure Meinung mit uns zu teilen? Schreibt uns gerne über das Kontakt-Formular oder über Instagram @divana_verlag. 

Aber nun zum Eingemachten! Ich präsentiere euch hier meine eigene (nicht Verlags-repräsentierende) Meinung zu Sophie Passmanns neustem Buch "Pick Me Girls": 

In dem gebundenen Essay von Sophie Passmann über „Pick Me Girls“ – was auf Internet für so etwas wie „Frauen, die anders als andere Frauen sein wollen, um Männern besser zu gefallen“ steht, schreibt Passmann über genau diese. Sie ordnet den Begriff in den Feminismus der Gegenwart ein und zählt auch sich selbst zu den Frauen, welche sowohl im Internet als auch im alltäglichen Sprachgebrauch möglicherweise als „Pick Me Girls“ bezeichnet werden. Hierbei führt sie autobiografisch Situationen, Kontexte und Gedanken auf, welche ihr das Leben als Cis-Frau schwerer gemacht haben. Diese sind weder besonders gut verpackt noch großartig umschrieben und wirken, weil auch teils unzusammenhängend, wie eine Sammlung Gedanken, die zwar einerseits gesellschaftlich relevant, andererseits aber auch sehr subjektiv und dennoch grob verallgemeinert sind. Mit Aussagen wie „Jede Frau kennt das“ oder „Jede Frau hat schon mal“ wird aus einer wohlhabenden Cis-hetero west-europäischen Perspektive für die Gesamtheit der Frauen (und denen die als solche gelesen werden) gesprochen, welche sich hier wohl nur in Bruchteilen repräsentiert fühlen wird. Zwar merkt Passmann zwischendurch immer wieder an, dass sie aus dieser sehr engen Perspektive spricht, beharrt aber dennoch darauf, dass ihre Erfahrungen allgemein generalisierbar sind. Was anfangs also wirkt, als käme es aus einem unreflektierten Kosmos, kann fast nur als offene Ignoranz gelesen werden.

Abgesehen von der objektiven Fassade eines sehr subjektiven Textes, greift Passmann die Erfahrung „Frau sein“ in der Realität, der Popkultur und der Augen der Männerwelt in den frühen 2000ern treffend auf und fasst Themen zusammen, die oft lose in der Mitte der Gesellschaft kursieren. Mit harten, teils derben aber auch fast gleichgültigem Ton beschreibt sie Übergriffigkeiten von Fremden, Freunden und Familie, welche den Alltag vieler jungen Mädchen und Frauen ihres Umfelds darstellen. Sie schafft es, dass sich die Leserin gesehen, gehört und verstanden fühlt.

Wichtig scheint auch die immer wiederkehrende Storyline des übergewichtigen Mädchens zu sein, welches sich abseits der Aufmerksamkeit von Jungs oder wohlwollenden Worten der Familie entwickelte und dadurch langfristig Schwierigkeiten im eigenen Körperempfinden aufzeigt. Hierbei erwähnt sie immer wieder die parallele ihrer Essstörung zu dem sozialen Netzwerk „Tumblr“, welches in den 10er Jahren seine Hoch-Zeit erfuhr. Diese Zusammenhänge wurden wohl schon hunderte Male wissenschaftlich und literarisch hin und her gewälzt und finden nun, fast zehn Jahre nach ihrer gesellschaftlichen Relevanz, auch ihren Platz in der „Mainstream“ Literatur. Dies, obwohl Passmann mehrfach darauf hinweist, dass dieses Buch für junge Mädchen heutzutage geschrieben ist. Ob ein junges Mädchen heutzutage ein Buch benötigt, das voll mit Serien-Referenzen des letzten Jahrzehnts, für heute unverständlichen Modetrends und problematischen Strukturen veralteter Sozialer Netzwerke ist, sei dahingestellt.

Auch für wen das Buch tatsächlich geschrieben wurde, bleibt in langen Strecken unersichtlich. In der Einleitung heißt es, sie wollte ein Buch schreiben, dass auch Männer gerne lesen, aber keinen Teenagerratgeber und auch keine Autobiografie, später dann ist es aber nicht für Männer, vielleicht noch nicht einmal für Teenagerinnen. Durch die schwammige Erklärung was dieses Buch jetzt eigentlich bewirken und wen es Ansprechen soll, fällt es schwer guten Willen und Hilfe, statt Selbstdarstellung und Mitteilungsbedürfnis (Welches sehr legitime Gründe sind ein Buch zu schreiben!) zu sehen. Das erübrigt sich aber dadurch, dass das Buch vor allem eines tut: Zum Denken anregen. Wer nicht nach diesem Buch nicht denkt „Das hätte ich auch selbst schreiben können“, verpasst Passmanns geschickt verpackte interaktive Gesellschaftskritik. Sie zeigt auf, dass gefühlte Nichtigkeiten sehr wohl patriarchal strukturell verankert sind, und startet einen Diskus über Beziehungen, Körper, Schönheit und der destruktiven toxischen Männlichkeit in der Heterosexualität, welcher bisher wohl oft nur in persönlichen Kreisen diskutiert werden. Passmann ist sich nicht zu fein zuzugeben, dass es nicht einfach ist sich dem Male-Gaze (ohne diesen zu benennen) zu entziehen, selbst oder gerade, wenn man nicht der Norm-Schönheit entspricht. Das Ganze schafft sie in einfacher Sprache, ohne viele Termini und ist vor allem eins: Relatable.

 

Somit ist „Pick Me Girls“ kein großes literarisches Meisterwerk, kein Geburtstagsgeschenk für die 14-jährige Nichte oder den Ehemann, der fälschlicherweise das Gefühl hat, er dürfe in dieser Welt sowieso nichts mehr, sondern eher etwas für all die cis-hetero millennial Frauen, die im Rückblick auf ihre Jugend einiges verstehen und zum ersten Mal verstanden werden. Es ist für eine Gruppe Frauen geschrieben, die in der blühte, einer männergemachten Welt, mit dessen unreflektierten Schönheitswahn und Workaholic Gesellschaft die „schneller, höher, weiter“ als ihr ewiges Credo sieht aufgewachsen sind und die Boomer Humor noch lustig finden mussten. Mein Beileid. Das allein verdient einiges an eigenes für sie verfasste Literatur und die sollen sie bekommen. Sophie Passmann hat ihren Teil dazu beigetragen, sicherlich und hoffentlich nicht zum letzten Mal.

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